Ausgrabungen | Römisch

Die Grabungen 2004 - 2011

Die Römer in Herrsching

Im Jahr 2003 lasen manche Herrschinger mit Schrecken in der Zeitung, dass unmittelbar neben dem Gelände der Grabung 1982, also neben dem Archäologischen Park, demnächst ein großes Seniorenheim errichtet werden sollte. Hier, im Osten des Adelsfriedhofs, war aber mit weiteren baiovarischen oder vielleicht auch römischen Funden zu rechnen. Zum Glück reagierte man schnell: geomagnetische Untersuchungen bestätigten diese Erwartung, beim Bodenabtrag für den Neubau ergaben sich weitere Befunde, und im Herbst 2004 begann die Grabung.

Sie dauerte drei Monate bis Dezember 2004. Heraus kamen keine weiteren baiovarischen Gräber, sondern die Reste eines römischen Gutshofs, einer Villa rustica. Die Funde waren über das gesamte, ca. 6500 m² große Grabungsgelände verteilt, man fand mehrere Gebäude unterschiedlicher Größe, aber keinen sicheren Nachweis des praetoriums, des Hauptgebäudes des Gutshofs. Dass auch seine Grenzen im Süden nicht erreicht worden sind, wie man damals meinte, erfahren wir gerade bei einer aktuellen, durch einen Wohnungsbau der Gemeinde veranlassten Grabung des Jahres 2024, von der noch zu berichten sein wird.

Am westlichen Rand der Grabungsfläche schnitt man 2004 jedoch überraschend die dicken Grundmauern eines Steingebäudes an, das einem dort geplanten Parkplatz hätte weichen sollen. In Erwartung eines wichtigen Befunds verlegte man erfreulicherweise das Parkplatz-Areal nach Süden. Dort wurde deshalb 2006 eine zweite Grabung notwendig. Neben verschiedenen „Zaungräbchen“ und einem großen, ziegelgedeckten Holzgebäude fand man auf einer Scherbe den Namen des ersten Herrschingers, Sangenus.

Aber es ging weiter. Weil die Gemeinde für 2012 eine erneute Friedhofserweiterung plante, wurde 2011 eine dritte Grabung notwendig. Jetzt wurde vor allem das 2004 angeschnittene Steingebäude ergänzt und als das Badehaus der Villa rustica identifiziert; dabei ergab sich als wichtiger Befund, dass es irgendwann in einen späteren Holzbau integriert worden war. Die Lücken zwischen dem 1982 ergrabenen baiovarischen Friedhof mit seiner Adelskirche und dem Gelände der Villa rustica waren nun geschlossen. Man hatte zwar keinen baiovarischen Adelshof gefunden, wie man anfangs erwartet hatte, die Frage, wo die im Friedhof Bestatteten gelebt hatten, musste vorerst offen bleiben.

Die Grabungen erbrachten aber ein anderes wichtiges Ergebnis. Es betrifft die von Historikern viel diskutierte Frage, wie man sich den Übergang von der römischen Spätantike zum frühen Mittelalter vorzustellen hat. Oder, konkret gefragt, ob es in irgendeiner Form eine Kontinuität zwischen der römischen Villa rustica und der Ansiedlung von Baiovaren auf deren Gebiet gegeben hat. Die Adelskirche mit ihrem Separatfriedhof lag nämlich inmitten der Umzäunung der Villa rustica, die 1982 entdeckten „Zaungräbchen“ um den baiovarischen Friedhof setzen sich in den seit 2004 dokumentierten Zaunverläufen des römischen Gutshofs fort.

Nach den drei Herrschinger Grabungen dürfen wir die Frage jetzt vorsichtig bejahen. Die Wiederverwendung der Mauerreste des Badehauses innerhalb eines Holzhauses, der Betrieb von Kalkbrennöfen, die Münzen und andere Fundstücke – vieles deutet darauf hin, dass in den Ruinen der Villa rustica im späten 4. Jahrhundert noch Menschen lebten. Wie im nur wenige Kilometer entfernten Ramsee können wir also annehmen, dass im 6. Jahrhundert noch Reste der römischen Bebauung sichtbar waren und sich die baiovarischen Siedler nicht zufällig an diesem historischen Platz niedergelassen haben.

Aus welchen Gründen sie das taten – um aus alten Steinen Kalk zu brennen oder um Mauerreste wie die des Badehauses weiter zu nutzen, vielleicht sogar für rituelle Handlungen wie in anderen ehemaligen römischen Gutshöfen – wir wissen es nicht. Was wir aber wissen: Der Platz war gut gewählt.

Das Grabungsgelände 2004. Links der Archäologische Park mit Adelskirche, im Hintergrund der Pilsensee
Die 2004 entdeckten Mauern vom östlichen Teil des Badehauses
Die Grabung 2006
Der baiovarische Friedhof (im Plan: rot) auf dem Gelände der Villa rustica (Im Plan: schwarz) mit Badehaus (Plan 42)
Die Grabung 2011
Die „Gräbchen“ der Gutshof-Umzäunung in Richtung Adelsfriedhof
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