Ausgrabungen | Baiovarisch
Die Bedeutung von Scherben
Schon in prähistorischer Zeit war die Art der täglich gebrauchten Keramik so charakteristisch, dass man ganze Kulturen danach benennen konnte: Bandkeramiker, Schnurkeramik, Glockenbecherkultur u.a. Die Häufigkeit und Charakteristik von Keramikfunden ermöglichte es den Archäologen, für beliebige Siedlungsgebiete eine Art von chronologischem Gerüst zu erstellen, in das man Neufunde einordnen konnte.
Auf diese Weise kann man auch die Zeit der Herrschinger Villa rustica durch Keramikfunde recht genau eingrenzen. Die meisten der fast 200 Funde stammen aus dem 2. und 3. Jahrhundert, dies war also die „Blütezeit“ des Gutshofs. Es fanden sich ganz unterschiedliche Arten von Keramik, handgemachte Grobkeramik, scheibengedrehte Feinkeramik bis hin zur exquisiten Terra sigillata, Reibschalen, auch ein Fragment eines Räucherkelchs – vielleicht der Hinweis auf einen Brandopferplatz. Eine mit schwarzem Firnis und Relief verzierte Scherbe ist ein Beispiel der sog. „Raetischen Ware“, einer kunstvollen Keramikart, die nur in Raetien gebräuchlich war und vielleicht Traditionen der romanisierten keltischen Bevölkerung fortführt.
Der „außergewöhnlichste Keramikfund“ ist aber die Scherbe einer ostmediterranen, wohl aus Gaza stammenden Weinamphore. Sie liefert „einen untrüglichen Hinweis auf den auch in der Spätantike noch vorhandenen Wohlstand der Siedler“ (Stefan Biermeier). Und ebenso außergewöhnlich ist ein Fund, der bei der Ausgrabung 2006 gemacht wurde: die „signierte“ Terra-sigillata-Scherbe des Sangenus.
Historisch wichtig ist schließlich die älteste Scherbe, die unseren terminus a quo liefert, den „Termin ab dem“ der Gutshof bestand. Sie gehörte zu einem Terra-sigillata-Napf aus dem Süden des heutigen Frankreich, einem Tischgefäß für Essig o.dgl., und kann in das frühe 2. Jahrhundert datiert werden. Da Gefäße des täglichen Gebrauchs keine allzu lange Lebensdauer hatten, könnte die Herrschinger Villa rustica demnach bereits zu Beginn des 2. Jahrhunderts gegründet worden sein. Das wäre bereits 100 Jahre nach der Einrichtung der römischen Provinz Raetien.
Biermeier, Stefan: ArchBau. Grabungsbericht Herrsching 7933/18 [2004], S. 16