Ausgrabungen | Baiovarisch
Die Adelskirche
Deutschlands erste Kirche ist sie zwar nicht – das ist eher der Trierer Dom, der um 340, noch in römischer Zeit, gegründet wurde. Aber unter den ältesten Sakralbauten der Baiovaren hat unser Kirchlein in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung. Denn die Bestimmung als Kirche ist unumstritten, etwa im Unterschied zum Befund auf Herrenchiemsee. Ihre Größe mit 40 qm und ihr Grundriss als Apsidensaal sind archäologisch genau bestimmbar, anders als bei der ersten Kirche in Aschheim. Und vor allem ist sie sicher datiert, im Gegensatz etwa zur Kirche in Staubing (bei Weltenburg).
Denn der linke Eckpfosten der Kirchenfront steht in der Verfüllung des Grabs Nr.9, Kirchenwand und Tuffsteinplatte des Grabs schließen fast fugenlos aneinander. Die erste Kirche wurde demnach bald nach der Bestattung erbaut, als das Grab „noch sichtbar“ war (Keller), der Bestattete war der Kirchengründer. Als der etwa 50jährig starb – sein Alter ist paläogenetisch nachgewiesen-, gab man ihm als wertvollste Beigabe seine silberne Gürtelgarnitur mit ins Grab, die nachweislich um 620 angefertigt worden war. Eine realistische Datierung von Bestattung und Kirchengründung ist also die Zeit zwischen 630 und 650.
Wie bei allen frühen Kirchen war dieser erste Bau eine Holzkonstruktion, nach Osten ausgerichtet, mit einem Stützwerk aus 15 Pfosten, einem kleinen Vordach und Wänden aus Flechtwerk und Lehmverkleidung. Sie wurde bald durch eine Steinkirche mit gleichem Grundriss ersetzt. Wann das geschah, das sagen uns die beiden Kalkbrennöfen, die man wenige Meter südlich der Kirche ausgegraben hat. In der Zeit zwischen 640 und 700 wurde dort zum letzten Mal Kalk gebrannt, was zeitlich eher auf den Bau der Kirche als auf Kalkgewinnung beim späteren Abriss verweist.
Sie mag etwa so ausgesehen haben wie unsere Rekonstruktion von 1995, erbaut aus Kalksteinen, an den Ecken durch bearbeitete Tuffsteinblöcke verstärkt, mit einem Dach aus Ammersee-Schilf und, wie üblich, mit Fenstern auf der südlichen Längsseite. An mehreren Stellen gefundene Putzreste legen nahe, dass der Steinbau, anders als heute, verputzt war. Nach den letzten Bestattungen im frühen 8. Jahrhundert wurde er wieder aufgegeben, vermutlich wegen der Anlage eines zentralen Friedhofs und dem Bau einer Pfarrkirche im Ortsbereich.
Wie andere frühe Kirchen der Baiovaren war die Herrschinger Kirche eine sog. „Eigenkirche“, gegründet lange vor der Einrichtung der vier bairischen Bistümer durch Bonifatius im Jahr 739. Im Unterschied zu anderen Privatkirchen, in denen der christliche Grundherr seine Leute zur Festigung ihres Glaubens versammelte, war sie die Friedhofskirche einer mächtigen Adelssippe. Das zeigen nicht nur die prachtvolle Ausstattung des Grabs des Kirchengründers, sondern auch andere Besonderheiten der Gräber in diesem „klassischen Beispiel einer Separatnekropole mit Eigenkirche“ (Later). Wie der 100 Jahre später in Herrsching bezeugte Isanhart mit seinen weitläufigen Schenkungen dürfte auch schon der Gründer unserer kleinen Privatkirche dem berühmten Geschlecht der Huosi angehört haben- jedenfalls „nach menschlichem Ermessen“, wie der Ausgräber Erwin Keller urteilt.
Wir haben Herrschings erster Kirche also zu Recht einen besonderen Namen gegeben: Die Adelskirche.
Keller, Erwin: Der frühmittelalterliche Adelsfriedhof mit Kirche von Herrsching am Ammersee. In: I. Eberl, W. Hartung, J. Jahn (Hgg.), Früh- und hochmittelalterlicher Adel in Schwaben und Bayern, Regio 1, 1988, S. 9-22
Later, Christian: Zur archäologischen Nachweisbarkeit des Christentums im frühmittelalterlichen Baiern. Methodische und quellenkritische Anmerkungen. In: H. Fehr, I. Heitmeier (Hgg.), Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, St. Ottilien 22014, S. 567-611