Ausgrabungen | Baiovarisch
Das Römerbad am Ammersee
Auf ihr leibliches Wohlergehen wollten die Römer im kalten Norden natürlich nicht verzichten. Deshalb gehörte zu jeder Villa rustica das balneum, ein Bad. In Herrsching war es, wie meistens in Raetien, nicht in das Wohnhaus integriert, sondern ein selbständiges Gebäude. Schon bei der Grabung 2004 fand man einen Teil seiner 60 cm dicken Mauern, 2011 wurde dann die gesamte Gebäudefläche mit einem quadratischen Grundriss von etwa 7 m Seitenlänge ausgegraben. Die Anlage war mit 40 qm nicht sonderlich groß, dürfte aber für die übliche Kombination aus Heiß-, Warm- und Kaltbad ausgereicht haben.
Beheizt wurde sie durch die Verbrennung von Holz in einem praefurnium, einem vorgelagerten Ofen. Von dort gelangte die Warmluft zuerst in einen Hohlraum unter dem Fußboden, der auf Ziegelpfeilern (pilae) verlegt war. Dann stieg sie durch Hohlziegel (tubuli) in den Wänden nach oben zu einem Abzug im Dach. Dieses Heizsystem, eine sog. Hypokausten-Heizung (oder Hypokaustum, griech. „Ofen von unten“), war Standard im gesamten römischen Weltreich, und es dauerte fast 2000 Jahre, ehe die moderne Technik wieder vergleichbar effektive Fußboden- und Wandheizungen entwickelte.
Das Besondere und historisch Bedeutsame der Herrschinger Anlage war aber nicht ihr Anfang und ihre Nutzung, sondern ihr Ende. Das Gebäude wurde nämlich nicht wie die meisten der Villae rusticae in Raetien nach den Krisen des 3. Jahrhunderts aufgegeben, sondern es wurde weiterbenutzt und in ein späteres Holzhaus integriert. Das konnten die Archäologen anhand von Pfostenlöchern im ehemaligen Estrich und östlich des Gebäudes eindeutig nachweisen. Neben wenigen ähnlichen Fällen im alemannischen Gebiet (Wurmlingen) ist unser Badehaus damit das seltene Zeugnis für ein Weiterleben von Menschen in den römischen Ruinen, ein Beleg für eine Siedlungskontinuität von der Antike zum Mittelalter.
In dieser wichtigen Frage liefert der Archäologische Park in Herrsching sogar noch einen weiteren Hinweis. Der baiovarische Separatfriedhof mit Adelskirche liegt nur 20 Meter vom Badehaus entfernt, inmitten einer Ausbuchtung des Zaungrabens der Villa rustica. Diese Nachbarschaft von baiovarischer Kirche und römischem Badehaus ist sicher kein Zufall, der Platz wurde bewusst gewählt. Gräber des 7. Jahrhunderts direkt neben einem römischen Badehaus findet man öfters, z.B. in den römischen Gutshöfen von Denning oder Friedberg.
Was war der Grund für diese räumliche Nähe? Vielleicht hat man ja, wegen der Apsis in vielen Räumen solcher Gebäude, die römischen Badehäuser für alte Gotteshäuser gehalten und sie christlich umgedeutet und umgewandelt, wie oft bei heidnischen Kultstätten? Einen archäologischen Hinweis auf diese Art der Kontinuität liefern viele Befunde in römischen Ruinen, z.B. die zahlreichen eisernen Steckkreuze, die man in ehemaligen Badegebäuden wie dem der Villa rustica von Aschheim gefunden und als Votivgaben im Rahmen der kultischen Nutzung der Gebäudereste gedeutet hat (Later).
Man fühlt sich an die großen Thermen des Kaisers Diokletian in Rom erinnert, in die Michelangelo 1200 Jahre später die Kirche S. Maria degli Angeli eingebaut hat. Die eindrucksvolle römische Architektur ist uns erhalten geblieben, weil man in ihr die ursprüngliche Form der christlichen Basilika mit ihrer halbkreisförmigen Apsis wiedererkannte.
Bei uns hat man immerhin erreicht, dass der Platz des römischen Badehauses nicht einem geplanten Parkplatz weichen musste, sondern mit Tuffsteinen markiert und in den Archäologischen Park integriert wurde – als letztes Zeugnis eines der ersten Bauwerke am Ammersee.
Later, Christian: Zur archäologischen Nachweisbarkeit des Christentums im frühmittelalterlichen Baiern. In: Fehr, H. & Heitmeier, I. (Hgg.): Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria. St. Ottilien 2. Aufl. 2014, S. 567-611