Ausgrabungen | Baiovarisch
Ein Friedhof im Friedhof
Die baiovarische Nekropole, die man 1982 bei der Vergrößerung des heutigen Friedhofs entdeckte, ist zwar klein, aber ein archäologischer Schatz. Elf Grabstellen sind zu sehen, alle nach Osten ausgerichtet, rings um eine kleine Kirche. Sie sind heute markiert mit Steinen aus Kalktuff. Drei davon sind doppelt belegt, mit je zwei Gräbern übereinander, es gibt also vierzehn Gräber. In ihnen sind insgesamt neunzehn Menschen bestattet worden. Die erste Bestattung, die des Kirchengründers von Grab 9, datiert man auf die Jahre 620-630, die letzten Gräber in die Zeit nach 700.
Neben zehn einfachen, unbefestigten Erdgräbern fand man auch vier Tuffplattengräber, also Gräber mit Seiten- und Deckplatten aus Kalktuff – einem aus kalkhaltigem Wasser ausgefällten Gestein, das heute noch in Polling abgebaut wird. Das große, quadratisch geformte Grab 1 war besonders aufwendig gestaltet, mit Mauern aus Tuffquadern und einem Boden aus passgenau verlegten polygonalen Kalksteinplatten. Wer in einer solchen Grabkammer bestattet wurde, gehörte einer hohen sozialen Schicht an, war ein vir nobilis, ein Adliger.
Darauf verweist auch die Lage der Gräber. Sie sind nicht in Reihen angeordnet, wie seit dem 6. Jahrhundert im christlichen Merowingerreich üblich und auch im Ortsgebiet von Herrsching nachweisbar („Reihengräber“), sondern sie gruppieren sich um den zentralen Bau der kleinen Privatkirche – Kennzeichen einer frühen Adelsnekropole. Auf den hohen sozialen Rang des Gründers der Anlage und seiner Sippe deuten auch die außergewöhnlichen Beigaben in dessen Grab, das als einziges ungestört geblieben ist (Grab 9), ebenso die Reste kostbarer Gewänder wie Goldfäden und Goldblechstreifen in Grab 1, oder Gürtelverzierungen mit Almandin, einer Granatart (Grab 10).
Bemerkenswert sind aber nicht nur Anlage und Grabbeigaben der Herrschinger Nekropole, sondern es sind auch die Personen selbst, die hier bestattet wurden. Zunächst sind es die vier Kinder, die als sog. „Traufkinder“ zu beiden Seiten der Kirche unter der Dachtraufe begraben sind; das Wasser vom Kirchendach sollte ihnen dort posthum das Sakrament der Taufe spenden (Grab 6,7,12,14). Nicht getauften Kindern drohte nach damaligem, noch bis ins 20. Jahrhundert gültigem Verständnis der limbus infantium, die „Vorhölle“.
Dann ist es der auffällige Umstand, dass neben zehn Männern nur eine einzige Frau bestattet worden ist, in Grab 3, vielleicht nur zufällig mit dem größten Abstand zur Kirche. Ein solcher „Männerüberschuss“ findet sich auch in anderen Separatfriedhöfen, z.B. in Poing bei München, und deutet „auf eine adlige Familie hin, die über Streubesitz und damit mehrere Möglichkeiten für einen Bestattungsplatz verfügt“ (Haas-Gebhard).
Und nicht zuletzt sind es die Aufsehen erregenden Ergebnisse der molekularbiologischen Untersuchung der Skelette von zwei prominenten Gräbern, vom Grab des Kirchengründers und dem benachbarten Grab 10, in dem fünf erwachsene Männer bestattet sind. Die DNA-Analysen des Biologen Andreas Rott erbrachten 2017 den Nachweis, dass einer von ihnen der Sohn des Kirchengründers war, ein anderer sein Urenkel.
Mit der Erblichkeit der Grablege war nachgewiesen, dass auch der hohe soziale Status des Kirchengründers über mehrere Generationen vererbt wurde, dass also eines der Hauptkriterien für die Definition eines „echten Adels“ erfüllt ist (Rott).
Haas-Gebhard, Brigitte: Die Baiuvaren. Archäologie und Geschichte. Regensburg 2013
Rott, Andreas: Phänomene der frühmittelalterlichen Reihengräberzeit aus molekularbiologischer Sicht. München 2016