Ausgrabungen | Baiovarisch
Die Agilolfinger, das erste bayerische Herzogsgeschlecht
Die Herkunft der Agilolfinger ist unklar, ihre dynastischen Beziehungen sind verworren, ihre Hervorhebung in der Lex Baiwariorum ist schwer zu deuten. Aber Anfang und Ende des ersten bayerischen Herzogtums sind gut bezeugt: der erste Herzog, Garibald, wurde 555 von den Franken eingesetzt, der letzte, Tassilo III., 788 von den Franken abgesetzt – der eine von einem merowingischen König, Theudebald, der andere von einem karolingischen, Karl dem Großen. Die Grundlinie der 200jährigen Herrschaft der Agilolfinger war damit vorgezeichnet: Baiern war Ableger und östlicher Vorposten des Frankenreichs.
Das Streben der Agilolfinger nach Selbständigkeit, und damit eine zweite, ganz andere Ausrichtung des Herzogtums, zeigt sich im engen Verhältnis zu den Langobarden in Italien. Besonders anschaulich wird die Nähe zu diesen Nachbarn im Süden, wenn man auf die Frauen der bairischen Herzöge blickt. Die Frau des ersten Agilolfingers war Waltrada, die Tochter des Langobardenkönigs Wacho. Deren Tochter Theodolinde wiederum heiratete zuerst den Langobardenkönig Authari und nach dessen Tod seinen Nachfolger mit dem Namen Agilolf (!). Und die Frau des letzten Agilolfingerherzogs Tassilo III. war Liutberga, Tochter des letzten Langobardenkönigs Desiderius.
Den politischen und persönlichen Kontakten zu den Langobarden verdankt das bairische Herzogtum zwar den Gewinn Südtirols und auch manche kulturelle Anregung, zu bewundern etwa am Beispiel der Herrschinger Gürtelgarnitur des Grabs 9. Wie riskant die Schaukelpolitik zwischen Langobarden und Franken aber war, sieht man an zwei zeitgleichen Ereignissen, an Tassilos Ende 788 und am Ende des italienischen Langobardenreichs. Es wurde 774 von Karl dem Großen erobert.
Der Kernbereich des fränkisch dominierten und langobardisch inspirierten Herzogtums blieb zwar die ehemalige römische Provinz Raetia westlich des Inns, das heutige „Altbaiern“. Hier war im 6. Jahrhundert das Zentrum der Verwaltung und Siedlungstätigkeit. Aber es gab neben den Annäherungen an den langobardischen Süden auch noch Interessen im Osten, im ehemaligen römischen Noricum. Das Gebiet östlich des Inns hatte einst nicht zum weströmischen Verwaltungsgebiet Italia, sondern zum sog. Illyricum gehört und lag nach dem Ende des weströmischen Reichs im Einflussbereich von Ostrom/Konstantinopel.
Manches deutet darauf hin, dass das Herzogtum der Agilolfinger hier eine weitere, ältere Machtbasis hatte, vielleicht sogar als militärischer Vorposten Ostroms (Heitmeier). Der Tassilokelch in Kremsmünster, einer agilolfischen Gründung, erinnert nicht nur an Tassilos langobardische Frau – virga regalis, Königsspross, wird sie auf der Umschrift genannt-, sondern auch an das religiöse und politische Engagement der Agilolfinger im östlichen Alpenvorland. Wohl nicht zufällig wird die Stammesbildung der Bevölkerung, der Baiovaren, traditionell mit Noricum in Verbindung gebracht. Auch ihr Name fände hier, im östlichen Teil des Herzogtums, eine historisch plausible Erklärung.
Heitmeier, Irmtraut: Die spätantiken Wurzeln der bairischen Noricum-Tradition. In: Fehr, H. & Heitmeier, I. (Hgg.): Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, St. Ottilien ²2014, S. 462-550